Eine Autobombe gegen einen Schriftsteller? Italiens organisiertes Verbrechen hatte zu diesem Kriegsmittel zuletzt 1992 gegriffen, als der Boss Totò Riina die beiden obersten Mafiajäger Borsellino und Falcone mit gewaltigen Sprengladungen samt den Polizisten der Eskorten in Palermo ermordete. Damals führte diese Herausforderung der Staatsgewalt nicht nur zu einer Volksbewegung gegen die sizilianische Mafia, sondern auch zu einer Verhaftungswelle.
Nun scheint Exponenten der neapolitanischen Camorra wieder die Zeit reif fürs Töten; mindestens neunzehn Opfer forderte allein in den letzten Wochen eine Mordwelle im Kerngebiet von Casal di Principe. Doch das wahrhaft Neue an der Ausrottungspolitik der unter Druck geratenen „Casalesi“ besteht im erklärten Gegner: Es handelt sich nicht mehr um einen Staatsanwalt, einen Polizeipräfekten oder einen Politiker, sondern um den Schriftsteller Roberto Saviano.
Saviano als Hauptursache für die strenge Verfolgung
Der junge Autor hat mit seinem Buch „Gomorra“ die totale Kontrolle des neapolitanischen Territoriums durch die Camorra weltweit zum Thema gemacht; die Verfilmung der verzweifelten Chronik staatlicher Verwahrlosung durch Matteo Garrone steigerte das Aufsehen nur noch. Nun hat die Camorra offenbar begriffen, dass Savianos beharrliche Präsenz in italienischen Medien die Hauptursache der neuerdings strengen Verfolgung darstellt. Gespenstisch etwa wirkte das Zusammenspiel von Saviano und der Polizei zuletzt bei der Arrestierung von drei Killern, die das Umland des Strandortes Castelvolturno tyrannisiert hatten. Allein sechs wahllos hingemähte Schwarze, die in illegalen Fabriken arbeiteten, hatten bei der schwarzafrikanischen Gemeinschaft zu Demonstrationen geführt.
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Es war Saviano, der in der Tageszeitung „Repubblica“ die Chronologie der Verbrechen minutiös zusammenbrachte und auch gleich die Namen der Killer mitlieferte, die - so Saviano damals - „voll Kokain in irgendeinem Schuppen ihre Taten feiern“. Ein paar Tage später konnte die Polizei drei der Genannten tatsächlich bei einer Party festnehmen. Noch nie hat ein Intellektueller ähnlich konkret die kriminellen Verhältnisse in seiner Heimat schildern und polizeiliche Fahndung ähnlich effektiv beeinflussen können wie Saviano. Ein anderer, legendärer Kritiker der mafiosen Gesellschaft wie Leonardo Sciacia, der mit Kriminalromanen über das Sizilien der Nachkriegszeit und prominenten Verfilmungen bekannt wurde, erreichte nie den savianoschen Fotorealismus.
Detailliert beschriebene Strukturen und Geschäftspraktiken
Durch einen Schriftsteller ins Fadenkreuz der Restgesellschaft und deren aufgeschreckter Polizei zu geraten hat Saviano offenbar endgültig zum Camorra-Feind Nummer eins gemacht. Ausgerechnet einer der drei Inhaftierten von Castelvolturno, ein gewisser Oreste Spagnuolo, erzählte bei seiner sofortigen Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft von Sprengstoffkäufen des präsumptiven Bosses Giuseppe Cetola. Diese Information deckt sich mit dem Wissen eines anderen „Pentito“, des in Mittelitalien mit neuer Identität lebenden „Casalese“ Carmelo Schiavone: Er informierte die Polizei, ein spektakuläres Sprengstoffattentat auf Saviano sei auf der Autobahn Rom-Neapel bereits in die „operative Phase“ getreten.
Die Gründe: Saviano hat sich nicht allgemein über die Camorra beschwert, sonder Strukturen und Geschäftspraktiken detailliert beschrieben. Schon bei vereinzelten, schwer bewachten Auftritten Savianos in seiner Heimatstadt Casal di Principe wurde er offen als Mafioso verhöhnt; immer wieder tauchten seither Mordparolen gegen den Autor an Wänden in Neapel auf. Ein anderer Carmelo Schiavone, der unter dem Spitznamen „Sandokan“ bekannte Ex-Chef des Casalesi-Clans, könnte hinter dem Mordbefehl gegen den Schriftsteller stecken. Der als besonders brutal geltende Boss wurde zwar zu lebenslänglicher Haft verurteilt, soll aber auch aus dem Gefängnis noch seine Fäden ziehen. Dafür spricht, dass bei der letzten von mehreren Verhaftungswellen gegen die Casalesi vor zehn Tagen auch seine Frau festgenommen wurde. Danach hat die Regierung Militär für Straßenkontrollen in die industrielle Brache nördlich von Neapel entsandt.
„Anfangs glaubst du nicht, es zu schaffen“
„Sandokan“ mit seiner Villa im Stil des Hollywoodklassikers „Scarface“ war stets Savianos liebstes Studienobjekt. Nun scheint gerade dessen Clan begriffen zu haben, dass sein größter Widersacher nicht mehr die Staatsanwaltschaft ist, sondern die Offenlegung ihrer Existenz durch einen Schriftsteller. Saviano hat erst vor drei Tagen in einem Radiointerview seine Lage erneut öffentlich gemacht: „Anfangs glaubst du nicht, es zu schaffen. Denn du lebst fortwährend im Verdacht, ohne Vertrauen, in Einsamkeit, während die Leute, die dich vorher umgaben, nach und nach verschwinden.“
Saviano, der seit zwei Jahren unter strenger Bewachung leben muss, erzählt, wie er sich dem Boxsport zugewandt hat. Seine Widersacher dort bestehen ausschließlich aus den Menschen, mit denen er jetzt zusammenlebt: Polizisten. Dass es in der Welt draußen für diesen unerschrockenen Intellektuellen ganz andere Gegner gibt, die es mit einem Knockout nicht bewenden lassen, haben die neuesten Enthüllungen ganz Italien vor Augen geführt. F.A.Z.